Lilly trägt jetzt Braids – ein Problem?
Darf man als weiße Person Braids und Afrofrisuren tragen? Lilly und ihre Freundinnen und Freunde diskutieren noch lange. Viele andere Themen kommen dabei auf, ganz unterschiedliche Meinungen – und immer wieder die Frage: Darf/Sollte man das machen, wenn man nicht zu der ursprünglichen Kultur gehört?
Hinweis: Die nachfolgenden Personen und Aussagen sind fiktiv.
Lilly
„Was soll an Braids nicht ok sein? Viele Influencerinnen und Influencer sind auch weiß und tragen sie, deshalb bin ich auf die Idee gekommen. Ich meine: Es ist doch nur eine Frisur! Meine Frisur!“
Robin
„Weiße profitieren vom Afrolook, wirken cool, kriegen mehr Klicks. Aber sie müssen niemals selbst erfahren, was es bedeutet, aufgrund der Hautfarbe diskriminiert zu werden.“
Kim
„Solidarität ist etwas anderes, als Styles nur nachzumachen. Man sollte sich wenigstens mit den Hintergründen und der Bedeutung dieser Frisuren auseinandersetzen.“
Melina
„Wenn Lilly sich für eine typisch afrikanische Frisur entscheidet, heißt das doch gerade, dass sie afrikanische Kultur gut findet und eben nicht rassistisch ist.“
Tom
„Wir leben in einer globalen Welt, können global kommunizieren. Klar, dass man dann kulturelle Merkmale austauscht: Musik, Essen, Kleidung, Weltanschauungen. Das ist ein Zeichen für Weltoffenheit.“
Susan
„Für Schwarze Menschen geht es nicht nur um Style. Afrofrisuren sind ein Signal, um zu zeigen: Ich bin mir meiner Herkunft bewusst und pflege meine Wurzeln. Wenn weiße das nachmachen, wird alles leer und bedeutungslos.“
Kulturelle Aneignung – was ist das eigentlich?
Über Afrofrisuren bei weißen Menschen wird viel diskutiert. Dabei fällt häufig der Begriff „kulturelle Aneignung“, auf Englisch „cultural appropriation“. Aber was ist eigentlich damit gemeint?
Laut Cambridge Dictionary ist kulturelle Aneignung „die Handlung, Dinge einer Kultur zu verwenden oder zu entnehmen, die nicht die eigene ist, vor allem ohne zu zeigen, dass man die Kultur verstanden hat oder respektiert“.
Laut Oxford Dictionary ist es „die Handlung, Gewohnheiten oder Traditionen einer bestimmten Kultur oder Gruppe durch jemanden zu kopieren oder zu nutzen, der einer dominanteren (= mächtigeren) Gruppe der Gesellschaft angehört“.
Was ist kulturelle Aneignung?
Immer wieder hört man von den Diskussionen zum Thema kulturelle Aneignung. Aber was kann kulturelle Aneignung konkret bedeuten? Das Video stellt verschiedene Meinungen vor.
„Okay oder nicht okay?“ – Wie denkst du darüber?
Respekt und Toleranz
Wir leben in einer vielfältigen Gesellschaft. Es gehört zu unseren Werten, alle Menschen gleich zu behandeln – egal, welche Hautfarbe, Nationalität, Religion, Kultur, welches Geschlecht oder welche sexuelle Orientierung jemand hat. Um das umzusetzen und zu leben, müssen wir alle Toleranz, Offenheit und Einfühlungsvermögen zeigen.
Natürlich tauschen wir uns auch aus: Wir vermischen eigene und fremde Traditionen und machen etwas Neues daraus (kultureller Austausch). Dabei sollten wir Merkmalen anderer Kulturen mit dem gleichen Respekt und Feingefühl begegnen wie den eigenen.
Rassistisch oder Modetrend?
Wenn über kulturelle Aneignung gesprochen oder gestritten wird, geht es oft um Braids. Was viele nicht wissen: Braids & Co. haben eine lange und spannende Geschichte – und sind viel mehr als „nur“ ein modischer Style.
Mehr als nur ein Style: Ich trage meine Frisur, weil...
Hinweis: Die nachfolgenden Personen sind fiktiv und ihre Positionen beruhen auf Erfahrungen und Berichten.
Ich trage meine Dreadlocks, weil ...
… ich stolz auf meine jamaikanischen Wurzeln bin. Für meine Vorfahren hatten Dreads eine spirituelle Bedeutung – sie sind Teil meiner Geschichte, meiner Herkunft. Mein Vater trug keine Dreads, um hier in Deutschland akzeptiert zu werden. Ich möchte zeigen: Ich trage Dreadlocks und bin trotzdem Teil Deutschlands.
Die Frisur, die ich trage, heißt...
… „Bantu Knots“ – nach einer Volksgruppe im Süden Afrikas. Meine Mutter besitzt einen Afro-Salon in Potsdam. Afrikanische Haare brauchen besondere Pflegemittel und Flechtfrisuren schützen unser empfindliches Haar. Meine Mutter kennt sehr viele traditionelle afrikanische Frisuren. Afro-Frisuren zu flechten, dauert oft viele Stunden. Dabei reden wir viel, lachen und besprechen Probleme. Für mich ist das etwas Intimes, Familiäres, weil uns etwas Gemeinsames verbindet.
Lange Zeit habe ich meine Haare...
… gehasst. Ich wollte feine, glatte, glänzende Haare haben, weil es das Schönheitsideal ist. Ich habe meine Haare dauernd geglättet, auch chemisch, bis sie total kaputt waren. Ich habe dabei gegen mich selbst gekämpft. Jetzt stehe ich zu meinen Haaren, wie sie sind: Natürliche Haare sind freie Haare. Und: Afrohaare sind schön!
Ich trage meine Braids mit...
… Stolz. Denn: Haare sind nicht nur Haare – sie sind Teil einer Kultur, die lange unterdrückt, ja „abrasiert“ wurde. Während der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung in den 1950er- und 1960er-Jahren waren Braids ein Symbol Schwarzer Identität und Schwarzer Freiheit. Wenn ich sie heute trage, dann sollen sie zeigen: Ich bin stolz darauf, wer ich bin.
In meiner Familie tragen viele...
… Männer solche Cornrows. Mein Bruder hat mir erzählt, dass früher Versklavte geheime Botschaften durch bestimmte Flechtmustern weitergaben, zum Beispiel Fluchtrouten aus der Sklaverei. Wie krass ist das denn? Und hey: Das sieht auch cool aus! Etwas Besonderes, das man fast nur mit Afro-Haaren machen kann.
Hat dir schon jemand ungefragt in die Haare gegriffen?
Über 90 Prozent der Schwarzen Menschen in Deutschland haben schon Erfahrungen damit gemacht, dass ihnen andere Menschen ungefragt in die Haare gegriffen haben. Das hat die Befragung „Afrozensus 2020“ ergeben. Ein solches ungefragtes Berühren ist eine Grenzüberschreitung. Viele Betroffene erklären, dass so ein Verhalten ihnen signalisiert: „Du bist anders, fremdartig, keiner ‚von uns‘!“ (Othering).
Musik über kulturelle Aneignung
Die Rapperin Nashi44 spricht in ihrer Musik unter anderem auch über kulturelle Aneignung und anti-asiatischen Rassismus und Vorurteile, die sie als Deutsch-Vietnamesin erlebt.
In einem Interview sagt sie: „Ich bin die letzte, die sagt: Du darfst das nicht und du darfst das nicht. Das will ich überhaupt nicht mit meinem Song aussagen. Es geht mir darum – und so versuche ich durchs Leben zu gehen – mich bewusster mit Sachen auseinanderzusetzen, bevor ich sie mir einfach aufsetze.“
Trends aus anderen Kulturen - Tabu oder total in Ordnung?
Diese Tipps können dir helfen, Trends zu hinterfragen und zu entscheiden, was in Ordnung ist und was nicht. *Handlungsempfehlungen nach Glanz & Natur
Medientipp: Eine bunte Gesellschaft – so geht das!
Was braucht man, um zusammen in einer vielfältigen Gesellschaft zu leben? Offenheit und Respekt auf jeden Fall – und eine gesunde Portion Empathie und Neugier. Das gilt für alle Seiten: Für Menschen, deren Vorfahren immer schon hier lebten und auch für Eingewanderte gegenüber der Kultur, in der sie jetzt leben.
Interesse an anderen Kulturen ist wichtig – aber wir können auch Menschen verletzen, indem wir ihre Kultur unüberlegt kopieren. Wie es funktionieren kann, dass wir voneinander lernen und uns austauschen, zeigen diese Projekte, Ideen und Initiativen: